An einem Augustmorgen klingelt mich mein Wecker um halb sieben gnadenlos aus den Federn. Mit schlaftrunkenem Blick taste ich mich auf wackligen Beinen zum Fenster meines Zimmers vor, das ich angemietet habe, um von hier aus in das Abenteuer meines Lebens aufzubrechen. Als ich die Gardinen aufziehe, fällt mein Blick auf den Kinder Scout, den höchsten Gipfel des Peak District National Parks im Herzen Englands. Die Sonne sendet warmgoldenes Licht über das langsam erwachende Edale Valley und die von purpurnem Heidekraut überzogenen Hügel Yorkshires.
Zu Fuß durch Nordengland. Ein mehr als abenteuerliches Unterfangen
Die Welt glitzert und funkelt und ich strotze vor Tatendrang. Meine Augen schweifen zu dem prall gepackten 15-Kilo-Rucksack und den nigelnagelneuen Wanderschuhen, die in der Zimmerecke bereitstehen. Dann schlüpfe ich in meine sorgfältig auf dem Stuhl zusammengefaltete Outdoorkluft und prüfe mein Bild im Spiegel. Heute ist mein großer Tag. Um genau zu sein, der erste von achtzehn auf dem Pennine Way, Englands ältestem und härtestem Fernwanderweg.
430 Kilometer Wegstrecke liegen vor mir, als ich nach einem hastigen Frühstück das quietschende Gartentor der Pension Richtung Schottland verlasse. Leichte Zweifel überkommen mich, als ich schnaufend die erste Schafsweide überquere. Bin ich tatsächlich gewappnet für einen steinigen Pfad, der steil auf den Rücken der Pennines klettert, tief in Täler hinabsteigt, auf sumpfigem, unwegsamem Untergrund über sturmgepeitschte Gipfel führt? Ich habe keinerlei Wandererfahrung, bin zudem recht unsportlich und habe mir den Gebrauch von Karte und Kompass im Schnellkurs angeeignet. Werde ich auf dem schlecht ausgeschilderten Pennine Way in dichtem Nebel, bei Wind und Wetter nicht irgendwo in den Hügeln verlorengehen?
Stefanie hat uns übrigens schon einmal von ihren Abenteuern im nördlichen England berichtet. >>>>Lesetipp: Die letzten Gentlemen – vom Charme des englischen Nordens
Endlose Pfade auf dem Pennine Way: wie es sich anfühlt, über Stunden allein zu sein
Bereits der erste Aufstieg auf Edale Rocks raubt mir den Atem, doch hier oben im Herzen des Dark Peak überblicke ich meine neue Heimat zum ersten Mal aus der Vogelperspektive, seit mich im letzten Herbst eine Fähre nach England gebracht hat. Was ich erblicke, trifft mich mitten ins Herz. Von smaragdgrünem Samt überzogene Anhöhen, auf denen schwarzgesichtige Schafe grasen. Mächtige Sandsteinklippen, die düstere Schatten ins Tal werfen. Einsame Gehöfte und versprengte Siedlungen, durch deren Mitte glitzernde Flüsse rauschen. Die Aussicht auf eine mehrwöchige Reise zu Fuß durch diese inspirierende Landschaft erfüllt mich mit Vorfreude.
Doch an diesem ersten Tag auf dem Pennine Way lerne ich nicht nur, wie gut es tut, draußen an der frischen Luft umherzustreifen, sondern erhalte auch einen Vorgeschmack auf die Hürden, die ich zweifellos nehmen muss. Auf einem langen Marsch durch endlose menschenleere Weiten erfahre ich, wie es sich anfühlt, über Stunden allein zu sein. Mein übervoll beladener Rucksack drückt sich schmerzhaft in meine Hüften und meine Energiereserven sinken stetig. Eine emotionale Prüfung nach der anderen nagt an meinen Nerven. In den kommenden Wochen muss ich mich ganz allein durchschlagen, jeden Schritt über tiefe Sümpfe und wolkenverhangene Berge hinweg gut abwägen, die Gefahren rechtzeitig erkennen, mir gut zureden, wenn ich mich an rutschigen Abhängen entlangkämpfe. Ich muss auf mich achten, denn ich habe mich dazu entschlossen, diesen Weg allein zu beschreiten. Werde ich bis zum Ende durchhalten?
Lesetipp:
Ob Stefanie den Pennine Way bis nach Schottland bewältigen wird und welche Abenteuer ihr auf der Reise widerfahren, erfahren Sie in ihrem Buch „Kopflos auf dem Pennine Way – Eine Berlinerin in der englischen Wildnis“.
Das Buch ist als Paperback, Hardcover und E-Book bei Amazon und überall im Handel erhältlich.
Und noch mehr Geschichten aus England können Sie auf Stefanies regelmäßigem Blog www.nordengland.net lesen.