Das SARAH in Stuttgart, gegründet 1978, ist das älteste Frauenkulturzentrum Deutschlands.Medien & Kultur

Seit der Frauenbewegung in den 70er Jahren haben sich Frauenleben in Deutschland grundlegend verändert. Damals entstanden Frauenzentren und Organisationen, die die gesellschaftliche Entwicklung mitprägten. Doch wie sieht es heute aus? Werden Frauenräume, wie „Das SARAH“ in Stuttgart, heutzutage noch gebraucht oder sind sie in Zeiten der „Gleichberechtigung“ obsolet? Wir sprechen mit Patrizia Schanz, der ersten Vorsitzenden des ältesten Frauenkulturzentrums Deutschlands.


„Es geht vorwärts, aber viel zu langsam.“

 

Liebe Frau Schanz, das Frauenkulturzentrum SARAH in Stuttgart hat Ende letzten Jahres sein 40jähriges Bestehen gefeiert. Es ist damit das älteste Kulturzentrum für Frauen in Deutschland. Erzählen Sie uns etwas über Anfänge und Entstehungsgeschichte!

Das Kulturzentrum für Frauen SARAH – wir sagen fast alle „das SARAH“, auch wenn es sich ungewöhnlich anhören/lesen mag – ist 1978 in der Frauenbewegung von vier Frauen gegründet worden, die einen Raum für sich und andere Frauen benötigten.

Sie wollten ungestört miteinander reden, feministische Aktionen und Veranstaltungen planen. Dafür mieteten sie ein komplettes Haus in Stuttgart West, bauten das Erdgeschoss zu Café und Veranstaltungsraum um und richteten eine Frauenbücherei ein. Die vier Stockwerke darüber wurden an die Frauen vermietet, die für das SARAH arbeiteten, also ein ArbeitsWohnProjekt. Später kam noch ein Büro für die hauptamtlichen Tätigkeiten dazu.

Heute leben Frauen in den Wohnungen, die nicht mehr für das SARAH arbeiten, aber noch auf einen Kaffee oder ein Bier ins Café kommen. Die Mitarbeiterinnen wohnen außerhalb. Das ist auch gut so, denn so können wir auch mal abschalten.

Wir haben also drei Bereiche innerhalb des Hauses: Das Café, das Kulturzentrum sowie die Hausverwaltung. Ein etwas kompliziertes Konstrukt, das vor allem finanziell genauestens getrennt werden muss.

Das SARAH ist ein Zusammenschluss aus zahlreichen kleinen Gruppen. Welche Angebote findet man unter Ihrem Dach?

Wir haben einen Lesetreff, eine Filmgruppe, Frauen, die in Scheidung/Trennung leben, einen FrauenWohnTisch (Planung eines Frauenwohnprojektes), das Offene Café für Frauen aus allen Kulturen, Frauen gegen Rechts, eine Doppelkopfrunde, spanisch-sprechende Frauen, eine Lerngruppe für Gespräche auf Deutsch mit arabischen Frauen, die Spielegruppe, die Offene Lesbenrunde, Lesben in Bewegung und die Kinderwunschgruppe. Auch, wenn das bereits viele Gruppen sind, da geht noch mehr. (lacht)

Die Gruppen wurden teilweise von uns gegründet und teilweise kommen Frauen von außen, die eine Gruppe ins Leben rufen oder mit ihrer bereits existierenden Gruppe zu uns kommen. Es besteht ein immer größeres Interesse an Frauenräumen, vermutlich, weil immer mehr Frauen (wieder) ein feministisches Verständnis entwickeln. Vor allem jüngere Frauen.

Wenn ich nach Kulturzentren für Frauen suche, finde ich nur noch wenige. Das sah vor 20 Jahren anders aus. Sterben Frauenkulturzentren und andere von Frauen für Frauen organisierte Initiativen, wie Frauenbuchläden, aus?

Das stimmt leider. In den letzten 10 bis 20 Jahren sind etliche Frauenkulturzentren verschwunden. Häufig wurden Gelder gekürzt oder gestrichen. Für mich war es 2008 schlussendlich so erschreckend, dass ich mich entschieden habe, das SARAH zu unterstützen.

Es gibt leider auch nur noch wenige Frauenbücherläden. Das mag daran liegen, dass sämtliche Bücher bestellt werden können. Von Onlinebuchhandlungen werden sie sogar bis zur Türschwelle getragen. Aber auch bei Frauenbuchläden können heute alle Bücher online bestellt werden. Das scheint sich allerdings noch nicht herumgesprochen zu haben.

Ein weiterer Punkt könnte sein, dass viele Frauen eine Zeit lang dachten, es gäbe keinen Grund mehr, Frauenräume zu unterstützen, da wir die Gleichberechtigung erreicht haben und sie sich überall bewegen können. So ganz stimmt das nicht, wie wir mittlerweile wissen. Der Backlash ist seit Jahren im Gange, unterstützt von rechten Kräften, die sich, hauptsächlich im Internet, bündeln.

Aber etwas hat sich verändert. Noch vor einigen Jahren habe ich kaum Frauen gesehen, die sich diffamierenden Behauptungen und Abwertungen entgegen gestellt haben. Mittlerweile sind es unglaublich viele Frauen, die sich nicht mehr abschrecken lassen.

Brauchen Frauen heute noch ein „Zimmer für sich allein“ bzw. einen geschützten Raum von Frauen für Frauen?

Unbedingt. Wir merken seit einigen Jahren, dass Frauen eigene Frauenräume wieder mehr nutzen und unterstützen möchten. Ich kann hier nur für das SARAH sprechen. Bei uns herrscht eine sehr angenehme, positive und im Miteinander respektvolle Atmosphäre. Unsere Räume und die friedliche Atmosphäre werden immer wieder gelobt. Natürlich wird auch mal gestritten, aber das gehört dazu.

In Frauenräumen wird uns nicht von Männern „die (Frauen-)Welt erklärt“. Das Einzige was zählt, ist, was die Frauen selbst zu den Themen zu sagen haben.

Gesellschaftlich gelten Frau und Mann als gleichberechtigt. Doch der „Gender Pay Gap“ liegt noch bei über 20 Prozent. Wie sehen Sie den aktuellen Stand der Gleichstellung? Und in welchen Bereichen benötigen wir weiterhin Veränderungen?

Es geht vorwärts, aber viel zu langsam. Gleichzeitig sägen diverse Kräfte an unseren Frauenrechten. Nicht nur die Frauennetzwerke schreiten voran, sondern auch die Antifeministen versammeln sich digital. Und darin sind sie leider (noch) wesentlich besser als Frauen. Wir brauchen viel mehr Frauen in Machtpositionen, die sich entschieden für Frauenrechte einsetzen.

Und wir brauchen die Ausdauer und Unerschrockenheit von Frauen wie Frau Hänel, die zunächst wegen „Werbung für Abtreibung“ in ihrer Praxis verurteilt wurde, deren Urteil zum § 219a jedoch mittlerweile aufgehoben wurde. Angestoßen wurde der Prozess von einem rechten Antifeministen, der von 2016 bis Frühjahr 2018 weit über 70 ÄrztInnen angezeigt hat. (Anmerkung der Redaktion: Hier erhalten Sie weitere Informationen zum Thema.)

Die Forderung „Mein Körper gehört mir!“ sollte wieder sehr viel lauter werden, nicht nur im Internet, sondern auch auf der Straße. Wir müssen uns auf allen Ebenen zur Wehr setzen, uns gegen Sexismus, Gewalt und Prostitution stark machen.

Wie hat sich das Selbstverständnis von Frauen in den letzten Jahrzehnten verändert? Und inwiefern haben Frauenkulturzentren und andere Frauenorganisationen dazu beigetragen?

Es gibt immer mehr vor allem jüngere Frauen, die selbstbewusst sind und an die Öffentlichkeit gehen, wenn ihnen etwas nicht passt. Abgesehen davon schreitet die Vernetzung von Frauen voran. Weltweit.

Frauenkulturzentren und Frauenorganisationen tragen mit Veranstaltungen, Kooperationen, Gruppenarbeit, durch Vernetzungen und Diskussionen dazu bei. Bei uns beispielsweise stehen feministische Themen immer in irgendeiner Form im Vordergrund.

Was raten Sie jungen Frauen, die Initiativen für Frauen auf die Beine stellen möchten?

Vernetzung ist sehr wichtig sowie Frauen und Freundinnen, die die Initiative begleiten. Und sie brauchen Mut. Wir dürfen uns nicht abschrecken lassen durch Abwertungen oder Drohungen, sondern müssen noch lauter werden.

Mittlerweile gibt es, auch im Netz, immer mehr Frauen/Frauengruppen, Organisationen und Projekte, die anderen Frauen den Rücken stärken, unterstützen und beraten. Wenn wir mal im Schwung sind, lassen wir uns nicht mehr aufhalten!

Mehr über das SARAH

Weitere Informationen über das Frauenkulturzentrum SARAH in Stuttgart erhalten Sie auf der Internetseite www.das-sarah.de.

- Artikel vom MDQuMDcuMjAxOQ==

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