Sexismus in der Werbung Ⓒ  Catalin Pop / Fotolia.comGesellschaft

Die Botschaft brauchte zehn Jahre – und ist in der Werbebranche immer noch nicht angekommen: Laut einer im Jahr 2005 veröffentlichten Studie fördert Sex in Anzeigen weder die Markenbekanntheit noch den Kaufimpuls – zumindest, was Frauen angeht. Eine aktuelle Studie der amerikanischen Psychologen Brad J. Bushman und Robert B. Lull weist außerdem nach, dass Werbung dem jeweiligen Unternehmen umso weniger nützt, je mehr Sex (und Gewalt) sie enthält.

Wissenschaft hin oder her: Wir sind dennoch tagtäglich, auf Plakaten und in Fernsehspots, umgeben von nackter Haut. Was steckt dahinter?

Was ist sexistische Werbung eigentlich?

Bei einem Werbeplakat für Dessous ist das naheliegende Motiv sicher eine Frau in Unterwäsche. Ob sie dabei extra lasziv in Szene gesetzt werden muss, ist die eine Sache. Ob eine Frau im Bikini mehr Autos verkauft, wenn sie sich auf einer Motorhaube räkelt, ist die andere Frage.

Bei der Definition von Sexismus in der Werbung gibt es zwei verschiedene Darstellungsarten, die oft vermischt anzutreffen sind:

  • Erotik im (konstruierten) Zusammenhang mit dem Produkt
  • Abbildung von Geschlechterklischees

Sexistische Werbung bedeutet also nicht nur, dass eine Frau ohne Zusammenhang halbnackt auf einem Auto posiert, sondern ist auch gegeben, wenn in der Baumarktwerbung ausschließlich Männer ihre handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis stellen.

Wie werden Frauen und Männer dargestellt?

Frauen in der Werbung werden selten in gleichberechtigten Rollen gezeigt. Sie scheinen oft eher

  • weniger kompetent in technischen Dingen
  • leicht zu beeindrucken
  • dekorativ

Bei sexistischer Werbung in den 1960er und 1970er Jahren ging es hier vor allem um die klassische Rollenverteilung: Die Werbung zeigte den Mann als erfolgreichen Ernährer und die Frau als zahmes „Heimchen am Herd“.

Mit der Zeit verlagerte sich die Darstellung immer mehr auf sexuell konnotierte Darstellungen. Das betrifft sowohl die Abbildung weiblicher als auch männlicher Körper:

#brunobanani #notforeverybody #model #malemodel #lifestyle #humpday #fashion Ein von bruno banani Official (@brunobananiofficial) gepostetes Foto am

Der gezeigte Traummann ist natürlich muskulös und vermutlich in wichtigem Auftrag unterwegs (wieso trüge er sonst ein Pistolenhalfter über der Schulter?). Eine weitere Variante dieser Objektdarstellung zeigt dieses Video:

Darin wird ebenfalls die (hier eher schlaffe) Hülle des Mannes zu Markte getragen – doch vor allem geht es um die leicht zu beeindruckenden, knapp bekleideten Strandschönheiten.

Ein anregender Deo-Duft mag im Zusammenhang mit Erotik dabei noch angehen; die Verbindung von Pizza und Schlafzimmerblick ist dagegen nach dem reinen „Sex sells“-Prinzip konstruiert:

Gäbe es dagegen bei folgendem Beispiel auch eine Anzeige mit einem Männerpo, könnte man beinahe von kreativer Werbung sprechen. Aber auch nur beinahe:

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Wie beeinflusst sexistische Werbung die Gesellschaft?

Sexistische Werbung verfehlt laut Studie ihre Wirkung in Hinsicht auf Markenbekanntheit und Kaufimpuls. Stattdessen beeinflusst Werbung die Werte der Gesellschaft. Die Frauenrechtsorganisation Pinkstinks nennt hier folgende Auswirkungen:

  • Wenn Frauen ständig schwache Stereotype vorgeführt bekommen, beginnen sie, sich danach zu verhalten.
  • Wenn Männer ständig dem Stereotyp der männlichen Überlegenheit begegnen, beginnen sie, Frauen entsprechend zu behandeln.
  • Die sexualisierten Stereotype körperlicher Schönheit wirken sich – bei Frauen wie auch bei Männern – negativ auf Selbstwahrnehmung und Selbstwertgefühl aus.

Anders formuliert: Werbung ist kein 100%iger Spiegel der Gesellschaft. Doch sie trägt ihren Teil dazu bei, dass sich die moderne Auffassung von einer Gleichberechtigung der Geschlechter durch die wiederholte Darstellung der immer gleichen Klischees nur verlangsamt durchsetzt. Im Jahr 2012 begann die Genderforscherin und Pinkstinks-Begründerin Stevie Schmiedel daher den öffentlichen Kampf gegen sexistische Werbung.

Geplante Gesetzesänderung für eine moderne Gesellschaft

Bei ihrer ersten erfolgreichen Aktion bewirkte Schmiedel, dass C&A eine Anzeige für Bikinis deutschlandweit zurückzog – und kurz darauf erstmals auch Männer in Bademode zeigte. Mit ihrer frischgegründeten Organisation Pinkstinks erreichte sie außerdem, dass der Deutsche Werberat seine Diskriminierungskriterien überarbeitete. Er rügte strenger und auch häufiger – doch anders als bei menschenverachtender Werbung, bei der die Wettbewerbszentrale einschreiten kann, ist dies bis heute keine zwingende Weisung für das betreffende Unternehmen. Deswegen setzt sich Pinkstinks aktiv für eine Gesetzesänderung ein. Mit einer von Dr. jur. Berit Völzmann erarbeiteten Gesetzesnorm gegen Sexismus in der Werbung und in Zusammenarbeit mit dem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will die Organisation erreichen, dass Anzeigen und Plakate weder Frauen noch Männer zum Sexualobjekt degradieren dürfen.

Aufruhr in der Werbebranche: Warum eigentlich?

Pinkstinks und Maas wollen den Werbeagenturen dabei genauso wenig den Mund wie die Darstellung nackter Haut verbieten. Tatsächlich geht es darum,

  • keine Blickfangwerbung ohne Bezug zum beworbenen Produkt und
  • keine überzogenen Gender-Stereotype

zuzulassen. Oder anders formuliert: Es soll keine Dessousmädchen mehr zur Pizza, aber dafür auch mal Männer an der Waschmaschine geben. Damit würden Gesetzgeber und Werberat den Unternehmen, die letztlich das Geld für Plakate und Spots bereitstellen, sogar einen Gefallen tun.

Von der Steinzeit in die Moderne

Wer überleben will, muss Auseinandersetzung meiden und sich fortpflanzen: Mit dieser simplen Erklärung ist evolutionspsychologisch begründet, warum Menschen so aufmerksam auf Sex und auch auf Gewalt reagieren. Doch wenn dies in der Werbung als Trigger eingesetzt wird, hat es laut Studie einen großen Nachteil: Die nackte Haut lenkt gerade das Interesse der beliebten jungen Zielgruppe viel zu sehr ab. Und wer auf Brüste oder Bizeps schaut, kann sich nicht gleichzeitig auf Marke und Produkt konzentrieren. Ältere Verbraucher fühlen sich dagegen sogar oft genervt. Sie merken sich zwar den beworbenen Artikel, kaufen ihn dann aber bewusst nicht. Dazu kommt eine weitere menschliche Eigenschaft: die Gewöhnung. Lull und Bushman fanden in ihrer Studie gleichzeitig heraus, dass Menschen quasi proportional zur Menge der gezeigten Haut abstumpfen. Ein Beispiel: Während Playmate Anna Nicole Smith in luftigen H&M-Dessous im Jahr 1993 noch für Autounfälle sorgte, muss Alexander Wang für seine Jeans gut 20 Jahre später deutlich „mehr“ zeigen:

Alexander Wang Denim @alexanderwangny #graffiti #galleriagraffiti #wang #alexanderwang #alexanderwangdenim #denim #adv #hot Ein von Galleria Graffiti 1983 (@galleriagraffiti) gepostetes Foto am

Aber wie, wann & warum funktioniert Erotik denn nun?

Sex wirkt. Ob er auch verkauft, hängt laut MediaAnalyze davon ab, ob

  • die kognitive Wirkung das Produkt/die Marke nicht überlagert oder verdrängt,
  • geschlechtsspezifische Unterschiede der Zielgruppe beachtet werden oder
  • die ausgelösten Empfindungen bewusst auf Produkt und Marke abgestimmt sind.
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Forschungsergebnisse und Pinkstinks-Forderungen decken sich also. Warum löst die Diskussion um sexistische Werbung dann so viel Wirbel aus? Wenn Unternehmen und Verbraucher also gut auf Stereotype aller Art verzichten können: Was will der Betrachter der Anzeigen – der hier bewusst nicht Verbraucher genannt wird – von der Werbung? Interessiert ihn der Ausschnitt einer tatsächlichen oder erträumten Wirklichkeit? Legt er Wert auf die Unterhaltung oder die Produkt-bzw. Markenvorstellung?

Möglicherweise greift hier wieder der Umstand der Gewöhnung: Wo man tagtäglich und überall mit Produkten bombardiert wird, schlägt der Reiz des Habenwollens neue Wege ein. Wo früher ein Produkt wie Persil der direkte Weg zum Frauenglück war, wird heute zusätzlich das Bild der gezeigten Verbraucherin interessant. Und die kommt, dank jahrelanger Konditionierung durch die Werbung, als schlankes, bis zum letzten Härchen gepflegtes Sexobjekt daher.

Fazit

Die evolutionspsychologische Prägung wird der Mensch nicht los: Nackte Haut bleibt ein Hingucker. Doch wenn Gewöhnung und Ablenkung den ursprünglich beabsichtigten Trigger wirkungslos machen, ist es Zeit für einen Richtungswechsel in der Werbung. Wie nötig das ist, beweisen Pinkstinks mit ihren Produkt-Shitstorms – wie gut der Wechsel funktionieren kann, zeigen positive Beispiele wie vom Kosmetikhersteller DOVE.

- Artikel vom MzEuMDUuMjAxNg==

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