Therapie mit Kunst © agsandrew / Fotolia.comBerufsleben

Wenn Sophia zur Therapie geht, hat sie einen Malerkittel dabei. Anna greift am liebsten zu den Bongotrommeln und Lina zieht direkt an der Tür die Schuhe aus, um freier tanzen zu können: Künstlerische Therapien ermöglichen vielseitige Zugänge zu seelischen Konflikten, indem sie die klassische Konstellation Patient und Therapeut um viel Kreativität ergänzen.

Ohne Worte gegen das Unaussprechliche

Die Kunst macht zugänglich, was „unaussprechlich“ scheint: Wo das klassische Therapiegespräch seine Grenzen findet, eröffnen künstlerische Therapeutinnen und Therapeuten z.B. mit einer verhaltenszentrierten Musiktherapie ihren Patienten mit ganzheitlichen Methoden neue Zugänge zu den Themen, die sie beschäftigen. Das, wofür man keine Worte findet, kann nonverbal in Tanzschritte, Bilder, Rhythmen oder Melodien übersetzt werden. Damit eignen sich die künstlerischen Therapien für Klienten:

  • als diagnostisches Mittel für persönliche Probleme
  • zum Erkennen von Entwicklungspotential
  • zur Stabilisierung und Förderung

Zudem bieten sich künstlerische Therapien für Klienten an, die den sprachlichen Ausdruck:

  • aus emotionalen oder anderen Gründen verweigern z.B. Traumapatienten
  • noch nicht oder nicht mehr leisten können, z.B. Kinder oder Demenzkranke

Müssen jetzt alle Künstler sein?

Nicht alle Künstler sind Therapeuten, aber alle Therapeuten Künstler? So ganz stimmt das natürlich nicht. Dennoch kennen sich künstlerische Therapeuten in ihrem jeweiligen Fachgebiet nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis aus – eine entsprechende Vorbildung ist sogar Voraussetzung für ihre Ausbildung.

Auf Patientenseite dagegen ist weder künstlerische Bildung, noch Talent eine zwingende Voraussetzung für den Erfolg der Therapie. So steht etwa bei der Ausdrucksmalerei der Vorgang des Malens und nicht das Ergebnis im Vordergrund. Anders gesagt: Es gibt in der künstlerischen Therapie kein „gut“ oder „schlecht“. Auch geht es nicht immer darum, dass die Patienten immer aktiv selbst etwas gestalten. Auch nachvollziehende Handlungen wie etwa „Nachtanzen“ oder „Nachmalen“ oder der rezeptive Kunstgenuss können Teil einer künstlerischen Therapie sein. Denn was letztlich für die Behandlung zählt, ist der erfolgreiche Zugang zu Konflikten und problematischen Themen.

Unter der Vielzahl der Angebote sind folgende Beispiele die wohl häufigsten künstlerischen Therapieformen:

Kunsttherapie

Im Rahmen der Kunsttherapie erschaffen die Patienten unter therapeutischer Betreuung ein Abbild ihrer inneren und äußeren Bilder, d.h. sie stellen psychische Konflikte dar und bilden dabei auch oft konkrete Situationen und/oder Zusammenhänge ab. Als Medien dienen dabei:

  • unterschiedliche Materialien wie Ton, Stein und Farben
  • unterschiedliche Ausdrucksformen der Bildenden Kunst wie Malereien, Zeichnungen, Plastiken, Skulpturen und Fotos

Durch die Gestaltung gewinnen die Klienten die nötige Distanz, die einen Dialog über diese Bilder möglich macht. Außerdem entwickelt sich neben der kreativen Begabung auch die Fähigkeit zur Wahrnehmung weiter, denn bei der Therapie spielt neben der Gestaltung auch die Betrachtung des Werkes und die Reflexion über seine Wirkung eine wichtige Rolle.

Die Methoden der Kunsttherapie werden zuweilen auch von bildenden Künstlerinnen und Künstlern für die Schöpfung ihrer Arbeiten eingesetzt: Francisco de Goya (1746-1828) verlieh seinen inneren Dämonen zum Beispiel die Gestalt von Fledermäusen, Eulen und Katzen, während Frida Kahlo (1907-1954) in vielen ihrer farbenprächtigen Werke ihr Innenleben abbildete.

Generell werden bei der Kunsttherapie verschiedene Formen wie etwa die Maltherapie, die Ausdrucksmalerei, das begleitete und das dialogische Malen sowie weitere Therapiemethoden differenziert. Diese unterscheiden sich zum Beispiel darin, wie das geschaffene Objekt betrachtet wird: So werden die Ergebnisse aus der tiefenpsychologisch fundierten Gestaltungstherapie im Gegensatz zur Maltherapie nicht als „Kunst“ betrachtet.

Musiktherapie – verhaltenszentriert

Schon in der Antike wurde versucht, die geistige und seelische Harmonie kranker Menschen durch Musik zu stabilisieren, denn Musik kann so starke Emotionen hervorrufen wie keine andere Kunstform. Heute hat sich die Musiktherapie als eigenständige Heilmethode etabliert. Sie dient der

  • Wiederherstellung,
  • Erhaltung und
  • Förderung
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der geistigen sowie körperlichen Gesundheit und findet meist im stationären Bereich statt. Die Therapie kann dabei rezeptiv (=zuhörend) oder aktiv (=musizierend), einzeln oder in der Gruppe stattfinden; außerdem unterscheiden sich diverse Schulen, die zum Beispiel auf die schöpferische oder die verhaltenszentrierte Musiktherapie ausgerichtet sind.

Tanztherapie

In der Tanztherapie geht es ebenfalls nicht um choreographische Höchstleistungen oder bestimmte Tanzstile: Der Patient drückt seine Emotionen und Erlebnisse im improvisierten oder nachgeahmten Tanz individuell aus. Der Therapeut analysiert dabei:

  • Haltung
  • Gesten
  • Mimik
  • Tempo
  • das Verhältnis zum Raum

Auf diese Weise erreicht der Tanztherapeut ein Verstehen und Verarbeiten. Während der Tanztherapie werden neben der „Integration des Unbewussten“ auch die Beweglichkeit und der körperliche Ausdruck verbessert, was die Körper- und Selbstwahrnehmung positiv beeinflusst.

 

 

Theatertherapie

Hier schreibt das Leben das Theaterstück: Bei der Theatertherapie werden komplexe soziale Beziehungen und Standardsituationen aus dem Alltag und Beruf mithilfe eines theatertheoretischen Instrumentariums aufgearbeitet. Sämtliche Eigenschaften der Patienten – auch Schüchternheit oder Ängstlichkeit – werden dabei als Ressource, und nicht als Defizit begriffen. Der therapeutische Blickwinkel erlaubt stattdessen, „innere Drehbücher“ und inszenierte Rollen zu erkennen, zu begreifen und angemessene Interventionen zu entwickeln.

Psychodrama

Im Gegensatz zur Theatertherapie spielen bei der Therapieform „Psychodrama“ die intrapsychischen Konflikte des Einzelnen die Hauptrolle. Die Methode entstand aus dem sogenannten „Stegreiftheater“ und wurde ursprünglich als handlungsorientiertes Gegenstück zu Freuds Psychoanalyse entwickelt. Bei dieser ersten Form der Gruppenpsychotherapie gestaltet ein Patient bzw. „Protagonist“ sein therapeutisches Thema nach, um es mit Hilfe des „Spielleiters“ und ausgewählter Hilfs-Ichs zu bearbeiten. Durch konstruktives und spontanes Handeln sowie das Feedback der Gruppe werden neue Lösungen gefunden oder eine heilsame Erschütterung (Katharsis) erzeugt.

Poesie- und Bibliotherapie

Bei diesen ursprünglich getrennt voneinander entwickelten Therapieformen geht es um:

  • das Schreiben und Gestalten eigener Texte
  • das Lesen von beruhigenden und aufbauenden Texten

Sowohl durch das Verfassen als auch die Rezeption von Literatur werden die kognitiven und emotionalen Verarbeitungsprozesse unterstützt. Außerdem können so neue Lösungsmöglichkeiten entdeckt bzw. ausprobiert werden.

Künstlerische Therapien in der Praxis

Künstlerische Therapien tragen zum Erkennen und Verarbeiten sowie zur Distanzierung von psychischen Störungen bei. Überwiegend wird dieses Verfahren daher im Bereich der analytischen und tiefenpsychologischen Psychotherapie bzw. Verhaltenstherapie eingesetzt. Aber auch in der Sozial-, Heil- und Sonderpädagogik haben diese Therapieformen ihren festen Platz. Zum Einsatz kommen sie auch bei der sozialen Arbeit, in medizinischen Bereichen sowie bei der Prävention und Rehabilitation.

Dabei erfüllen künstlerische Therapien von Konfliktbewältigung und Krankheitsverarbeitung bis zur Aktivierung von Ressourcen unterschiedliche Funktionen. Zusammengefasst geht es im Idealfall um:

  • die Entwicklung von Identität und Autonomie
  • die Stabilisierung des Selbstvertrauens
  • die Aktivierung der sprachlichen Kommunikation und Interaktion
  • die Differenzierung von Gefühlen zur besseren Affektmodulation und -regulierung
  • die nachhaltige Etablierung von neuen Perspektiven, Lösungen und Zusammenhängen

Welche Therapie wird wann angewendet?

Ob Verarbeitung von Krebserkrankungen oder Prävention eines Burn-out: Bei der künstlerischen Therapie stehen die Bedürfnisse des Patienten genauso im Mittelpunkt wie seine Lebenssituation, seine Erwartungen und Motive sowie seine Teilhabe- und Mitgestaltungsfähigkeit. Denn der Kerngedanke der künstlerischen Therapien ist, dass jeder Mensch – aktiv oder passiv – auf künstlerische Weise einen Beitrag zu seiner Gesundheit leisten kann.

Eine konkrete Faustregel, welche künstlerische Therapie bei welcher Erkrankung einsetzt wird, gibt es also nicht. Allerdings gibt es Krankheiten, bei denen sich eine bestimmte Form der künstlerischen Therapie besonders bewährt hat.

Die Musiktherapie wird zum Beispiel eingesetzt zur Behandlung von:

  • chronisch Schmerzkranken
  • Drogenabhängigen
  • psychosomatisch Erkrankten
  • Depressiven

Mal- und Gestaltungstherapien werden zum Beispiel in folgenden Fällen häufig eingesetzt:

  • sexueller Missbrauch oder andere Traumata
  • Auseinandersetzung mit Krankheit, Tod und Sterben

Die Ausbildung zum künstlerischen Therapeuten

Die Befähigung zur Anwendung einer künstlerischen Therapie erwirbt man in einer Aus- oder Weiterbildung bzw. in einem Voll- oder Teilzeit-Studium an einer Hochschule. Rechtlich ist keine bestimmte Vorbildung vorgesehen.

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Qualifizierte Bildungsanbieter achten bei der Aufnahme in eine Aus- oder Weiterbildung oder in ein Studium jedoch auf die Einhaltung gewisser Eingangsvoraussetzungen. Dazu gehören häufig:

  • der Abschluss eines medizinischen, psychologischen, künstlerischen oder geisteswissenschaftlichen Studiums an einer Fach- oder Hochschule bzw. eine Berufsausbildung im medizinischen, sozialen oder pädagogischen Bereich mit dreijähriger Berufstätigkeit
  • der Nachweis einer künstlerisch-kreativen Tätigkeit im Bereich Bildende oder Darstellende Kunst, Tanz, Musik, Schreiben etc.
  • ein Führungszeugnis und ein ärztliches Attest zur gesundheitlichen Eignung

Beispielhaft werden im Folgenden die Ausbildung zur Kunst- und Musiktherapeutin genannt.

Wie werde ich KunsttherapeutIn?

Die Ausbildung zur Kunsttherapeutin oder zum Kunsttherapeuten wird durch entsprechende Praktika sowie durch Selbsterfahrungen und Supervision ergänzt; dazu kommt die Erstellung einer wissenschaftlich angelegten Abschlussarbeit. Zu den Inhalten der Ausbildung gehören etwa:

  • psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Grundlagen
  • kunsttheoretische und kunstpraktische Inhalte
  • kunsttherapeutische Methoden (theoretisch und praktisch)

Eine eigene Praxis können KunsttherapeutInnen nach Abschluss der Ausbildung dann eröffnen, wenn sie mindestens die Heilbehandlungserlaubnis zur Psychotherapie nach dem Heilpraktikergesetz (HPG) besitzen. Ohne Heilbehandlungserlaubnis ist die Arbeit in Ateliers mit vorwiegend künstlerischem oder präventivem Schwerpunkt möglich.

Wie werde ich MusiktherapeutIn?

Zur Ausbildung zur Musiktherapeutin oder zum Musiktherapeuten gehören neben dem theoretischen Teil mit der wissenschaftlichen Abschlussarbeit auch klinische Praktika. Außerdem sollte der zukünftige Therapeut oder die Therapeutin bei Ausbildungsbeginn mindestens ein Instrument beherrschen und musiktheoretische Kenntnisse nachweisen können. Zu den Inhalten der Ausbildung gehören:

  • psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Grundlagen
  • musiktheoretische und musikpraktische Inhalte
  • musiktherapeutische Methoden (theoretisch und praktisch)

 

Für eine freiberufliche Tätigkeit oder eine eigene Praxis ist nach Abschluss der Ausbildung eine ärztliche Approbation oder eine Zulassung nach dem Psychotherapeutengesetz erforderlich. Für Führungspositionen, Spezialisierung auf bestimmte Bereiche oder Tätigkeiten in Wissenschaft und Forschung ist außerdem ein Masterstudium bzw. auch eine Promotion oder Habilitation nötig.

Fazit: Weites Berufsfeld mit Kreativpotential

Die künstlerische Therapie schafft individuelle Möglichkeiten – und zwar für beide Seiten: Während Patienten wie Sophia, Anna und Lina nonverbal den Zugang zu sich und ihren Problemen entdecken, bieten diese Arten der Behandlung für Therapeuten ein weites Berufsfeld. Wer sich für psychologische Zusammenhänge interessiert und diese mit (eigenem und fremdem) Kreativpotential in Verbindung bringen will, findet hier einen Wirkungskreis, der so vielfältig und bunt ist wie die Kunst selbst.

Eine Auswahl an Ausbildungsstätten

- Artikel vom MDMuMDguMjAxNg==

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